Produktion der Bayreuther Festspiele feiert Premiere in Shanghai

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Ein Plakat für Richard Wagners „Tristan und Isolde“ im Rahmen der Bayreuther Festspiele. [Foto: Shanghai Observer]

Wenn im Juli das bayrische Waldstädtchen Bayreuth zum Anziehungspunkt für Wagner-Enthusiasten aus aller Welt wird, planen Opernliebhaber oft lange im Voraus ihre Reisen zu den Bayreuther Festspielen, um Richard Wagners Werke zu genießen.

In diesem Jahr trifft das Festspielprogramm jedoch auf das Publikum in Shanghai, noch vor der lokalen „Eröffnung“ in Deutschland: Am Freitagsabend feierte die erste Großproduktion im Rahmen des dreijährigen Projekts „Bayreuth in Shanghai“ im Shanghai Grand Theatre ihre Premiere. Aufgeführt wurde die Fassung der Bayreuther Festspiele von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ aus dem Jahr 2022. Musikalisch geleitet wurde der Abend von Xu Zhong, dem Direktor des Shanghaier Opernhauses, der das Orchester sowie internationale Solisten dirigierte. Diese Aufführung markiert zugleich die erste Präsentation des Werkes in Shanghai anlässlich seines 160. Uraufführungsjubiläums.

„Tristan und Isolde“ gilt unter Kennern als das „ultimative Werk über die Liebe“. Wagner selbst beschrieb es zwar als „Handlungsdrama“, doch tatsächlich finden sich im Stück nur wenige konkrete Handlungselemente. Stattdessen dominiert die musikalische Auseinandersetzung mit dem Wesen der Liebe. Die Partitur durchdringt Themen wie Hingabe und Rache, Verneinung und metaphysische Erlösung.

Der Einstieg in Wagners Klangkosmos erfordert besondere Offenheit, wie Dirigent Christian Thielemann in seinem Buch „Mein Leben mit Wagner“ betonte: „Es gibt keinen Wagner-Fastfood. Wer seine Musik begreifen will, muss Zeit, Geduld und konzentriertes Hören investieren. Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine Zauberwelt voller trickreicher Mächte, starker Frauen und leidender Helden – einen Ort der Selbstentdeckung und Selbstvergessenheit.“ Entscheidend sei, die Erwartung an konventionelle Handlungsführung abzulegen und sich auf die mehrstündige Dauer einzulassen.

Die Einzigartigkeit der Bayreuther Festspiele ist untrennbar mit dem dortigen Festspielhaus verbunden. Versteckt in den bayerischen Wäldern gelegen, zählt das fast vollständig aus Holz konstruierte Theater zu den außergewöhnlichsten Opernhäusern weltweit. Seine architektonischen Besonderheiten schaffen eine einzigartige Atmosphäre: Ein verdeckter Orchestergraben verbirgt das Orchester vor den Blicken des Publikums und lässt die Musik wie eine mystische Klangquelle wirken. Konzentrierte Bühnenbeleuchtung verstärkt die immersive Wirkung der Szenen. Das historische Gebäude verfügt über keine Klimaanlage, sodass die Zuschauer bei sommerlichen Temperaturen von über 30 Grad Celsius im Zuschauerraum eine physische Erfahrung machen. Die täglichen Vorstellungen beginnen um 16 Uhr. In den einstündigen Pausen zwischen den Akten begeben sich die Besucher traditionell in die umliegenden Wälder, kühlen ihre Füße in Bächen oder trinken das bayrische Bier zur Entspannung – ein Ritual, das integraler Bestandteil des Gesamterlebnisses ist.

Die Frage, wie sich diese spezifische „immersive Wagner-Atmosphäre“ in das moderne Shanghai Grand Theatre übertragen ließe, erforderte technische Meisterleistungen. Wie der technische Direktor des Bühnenbilds verriet, begannen die Vorbereitungen bereits ein Jahr vor der Premiere: „Aufgrund der streng limitierten Aufbauzeit in Shanghai mussten wir jeden Prozess bis ins Extreme simulieren. Die originalen Bayreuther Kulissen wurden systematisch dekonstruiert, für den Transport optimiert und für den schnellen Wiederaufbau neu konzipiert – ein Präzisionsprojekt unter hohem Zeitdruck.“ Sämtliche technischen Parameter, von der Akustikangleichung bis zur Nachbildung des verdeckten Orchestergraben-Effekts, wurden millimetergenau berechnet und umgesetzt.

Obwohl außerhalb des Shanghaier Theaters weder der bayerische Wald noch kühlende Bäche zu finden sind, zeigte sich das Produktionsteam überzeugt von der Wirkung: Als sich der mythologische Bühnenhimmel über den Schicksalen von Tristan und Isolde entfaltete, entstand jene magische Immersion, die für Wagners Werke charakteristisch ist. Dieser erfolgreiche Transfer beweist, dass sich die Essenz des Festspiel-Erlebnisses auch über 9.000 Kilometer hinweg bewahren lässt.

Die Aufführung stellt nicht nur einen Meilenstein im Kulturaustausch zwischen Deutschland und China dar, sondern auch eine technische Pionierleistung: Erstmals wurde eine aktuelle Inszenierung der Bayreuther Festspiele in solcher Komplexität an einen fernöstlichen Spielort übertragen. Für das Publikum in Shanghai eröffnet sich damit ein unmittelbarer Zugang zum Kern deutscher Musikkultur – ohne extra nach Bayern reisen zu müssen, aber mit derselben künstlerischen Intensität. Die Produktion bildet den Auftakt eines auf drei Jahre angelegten Kooperationsprojekts, das weitere Höhepunkte der Bayreuther Festspiele nach Shanghai bringen wird.

 

Quelle: Shanghai Observer, kompiliert mit wichtigen Änderungen