Deutsches Vokalensemble SLIXS rekonstruiert Bachs Goldberg-Variationen mit sechs Stimmen
Die Mitglieder des deutschen Vokalensembles SLIXS interpretieren am 3. Juli klassische Musikwerke vor dem chinesischen Publikum mit Authentizität der menschlichen Stimmen. [Foto: Shanghai Observer]
Mit nichts als sechs Stimmen begeisterte das deutsche Vokalensemble SLIXS am Donnerstagabend beim Sommerlichen Musikfestival von Shanghai (Music In the Summer Air, MISA). Die sechs Künstler standen ohne Instrumente oder Begleitung auf der Bühne, doch ihr Zusammenspiel erzeugte ein erstaunliches Klangspektrum: von orgelartiger Fülle über streicherähnliche Subtilität bis hin zu perkussiver Rhythmik. Im Vorfeld betonten die Mitglieder im Interview, SLIXS verstehe sich nicht als traditionelle A-cappella-Gruppe, sondern als „Klanglabor“.
Unter dem diesjährigen Motto „An die Zukunft“ – einer Reflexion über harmonisches Zusammenleben von Mensch, Natur und Gesellschaft – kommentierte das Ensemble passend: „A-cappella ist per se die ökologischste Musikform! Allein mit sechs Stimmen eine ganze Klangwelt zu erschaffen, das ist vielleicht die reinste ‚grüne Musik‘.“
Der Höhepunkt des Abends war ein Ausschnitt aus Bachs „Goldberg-Variationen“, überarbeitet vom SLIXS-Tenor Michael Eimann. Seine Neuinterpretation extrahierte sieben Variationen und verlieh ihnen überraschende Facetten: jazzige Synkopen in Variation 7, elektronisch anmutende Pulse in Variation 1 oder düstere Rezitationen in Variation 18 – wie moderne Einbauten in barocker Architektur.
„Zwei von uns singen die linke Klavierhand, zwei die rechte, die verbleibenden beiden fügen weitere Details hinzu“, erläuterte Eimann den Arrangement-Prozess. „Dabei streben wir größtmögliche Werktreue an.“ Durch die vokale Neuinterpretation erhielten diese ursprünglich textlosen Instrumentalwerke frisches Leben.
Diese Treue bedeutet jedoch nicht bloße Kopie, sondern verstandesbasierte Innovation. Im Allegro von Bachs „A-Moll-Konzert“ erzeugte Thomas Pionteks vokal imitierte Schlagzeugrhythmen ein hochfrequentes Sturmfeuer, während vier Männerstimmen den Klangraum eines virtuellen Orchesters schufen. Als das Saxophon in Earl Hagens „Harlem Nocturne“ durch gutturales Summen ersetzt wurde, wurde dem Publikum klar: Die physikalischen Grenzen der Stimme sind nur die Startlinie für die Fantasie.
Jedes der sechs Multitalente beherrscht spezielle Techniken. Der Bariton Konrad Ulrich Zeiner etwa praktiziert Kehlkopfgesangkunst. „Ich entdeckte die Stimme in einem Workshop und war fasziniert, verstand aber die Technik nicht“, berichtete er. „Später, bei Halsbeschwerden, fand ich beim Räuspern zufällig den Einstieg.“ Er räumte ein, diese Technik sei stimmlich extrem fordernd und erfordere besondere Sorgfalt.
Die Mitglieder des deutschen Vokalensembles SLIXS interpretieren am 3. Juli klassische Musikwerke vor dem chinesischen Publikum mit Authentizität der menschlichen Stimmen. [Foto: Shanghai Observer]
Die Aufführung im Jaguar-Sinfoniehalle Shanghai stellte selbst für SLIXS eine große Herausforderung dar. „Normalerweise singen wir unverstärkt, aber hier brauchten wir ein wissenschaftlich durchdachtes Soundsystem, das dafür sorgt, dass jeder Zuhörer optimale Klangqualität genießen kann“, erklärte ein Mitglied. „Klangklarheit zu wahren und Störungen zu vermeiden, ist komplex.“
Daher reiste ihr „siebtes Mitglied“ – Tontechniker Mario – mit. „Er kennt unsere Stimmen genau und weiß, welcher Effekt jeder Einzelne benötigt. Diese stille Verständigung gewährleistet selbst in großer Halle Klarheit und Schichtung“, so das Ensemble. „Trotz Mikrofonen bewahren wir die stimmliche Authentizität.“
Ihre letzte China-Tournee lag 15 Jahre zurück. Die aktuellen Eindrücke Shanghais hat SLIXS als „atemberaubenden Wandel“ festgestellt. „Trotz straffem Programm konnten wir den Puls dieser schönen, dynamischen Stadt spüren – und die Shanghaier sind eben schick!“ Als besondere Geste probte die Gruppe das chinesische Volkslied „Mo Li Hua“ (Jasminblüte). „Wir beginnen mit der Imitation der Naturgeräusche und betten sie dann in eine klangliche Landschaft ein.“
SLIXS beweist mit seiner Kunst: Das älteste „Instrument“ – die menschliche Stimme – vermag im zeitgenössischen Musikbetrieb zu glänzen. Wie sie im Interview resümierten: „Wir zeigen die immense klangliche Palette der Stimme und hoffen, dem Publikum pure musikalische Freude zu vermitteln.“
Quelle: Shanghai Observer